Studienrat Nicolas Zehe zum Austausch in Norwegen

Oft heißt es, dass Schule und Unterricht in skandinavischen Ländern zum Teil anders und auch besser abläuft als man dies landläufig aus dem staatlichen Schulbereich in Deutschland bzw. Bayern kennt.

Ob nun diese Behauptung stimmt oder nicht, davon konnte ich mich selbst im Mai überzeugen, als ich im Rahmen des EU Bildungs- und Austauchprogramms Erasmus+ eine Woche ein job shadowing an der norwegischen Nidarvoll Skole in Trondheim verbringen durfte. Dabei begleitete ich während meines Aufenthalts verschiedene Lehrkräfte an dieser Schule sowohl während der Unterrichtsstunden als auch bei sonstigen dienstlichen Tätigkeiten um einen vertieften Einblick in das norwegische Bildungssystem zu bekommen.

Zum besseren Verständnis einige grundlegende Informationen und Unterschiede zwischen Norwegen und Deutschland/Bayern:

  • Obwohl Norwegen etwas größer ist als Deutschland, leben dort nur etwa 5,5 Millionen Einwohner; diese hauptsächlich in den Städten
  • Die Kommune Trondheim ist mit 212 000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Norwegens und Sitz der größten Universität des Landes mit 42 000 Studierenden
  • In Norwegen besuchen Schülerinnen und Schüler von der 1. bis zur 10. Klasse gemeinsam die Schule: Barneskole (Grundschule) Klasse 1-7 und Ungdomsskole (Sekundarstufe 1) Klasse 8-10. Danach kann optional in drei weiteren Schuljahren in der Sekundarstufe 2 der höchste Schulabschluss und die Hochschulreife erworben werden
  • Von der 1. bis einschließlich der 7. Klasse werden keine Noten vergeben (!)

Gerade der letzte Punkt greift viele Ängste und Sorgen deutscher Lehrkräfte und Eltern bei dem Thema Schule auf: Lernen die Kinder dann überhaupt etwas? Strengen sie sich überhaupt an, so ganz ohne Notendruck? Beides ich habe als völlig unbegründet wahrgenommen. Ich habe stattdessen motivierte Schülerinnen und Schüler erlebt, die an ihren Aufgaben gearbeitet haben und Lehrkräfte, die mehr Zeit hatten sich um die individuellen (!) Lernfortschritte und Fragen ihrer Schüler zu kümmern.

Apropos „individuell“: Falls eine Klasse „groß“ war, d.h. an der Nidarvoll Skole ab 20 Schülerinnen und Schülern in einer Klasse, wurden soweit möglich zwei (!) Lehrkräfte in einer Unterrichtsstunde eingesetzt, sowie darüber hinaus auch weiteres pädagogisches Personal (falls erforderlich)

Die individuelle Herangehensweise an das Thema Bildung zeigt sich auch in anderen Bereichen: So besteht häufig eine freie Wahl der Sozialform bei der Bearbeitung von Aufgaben (Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit), was sich auch in der räumlichen Gestaltung der Klassenzimmer widerspiegelt: Eine gemütliche Atmosphäre, in der man sich gerne aufhält, Rückzugsmöglichkeiten in direkt angrenzende kleine Gruppenarbeitsräume, oder ein variables Raumkonzept, das an die Erfordernisse der Unterrichtsstunde angepasst werden kann. Das Lernen wird auf breiter Basis auf digitaler Ebene unterstützt; so kommen z.B. an der Nidarvoll Skole bereits seit 2012 Ipads ganz selbstverständlich im Unterricht zum Einsatz.

Im nächsten Schuljahr wird für die Schule ein großer Schulcampus für die 1. bis 10. Klasse fertig. Bereits jetzt können Lehrkräfte und Schülerinnen in bestimmten „Testklassenzimmern“ in ihrem alten Schulgebäude verschiedene Möbel testen und haben so entscheidenden Einfluss darauf, wie ihre neue Schule von ihnen ausgestattet sein wird.

Besonders hervorzuheben war die große Gastfreundschaft und Offenheit, mit der sich sowohl die Schulleitung der Nidarvoll Skole als auch das dortige Kollegium schon seit vielen Jahren in das Erasmus+ Programm einbringt und auch das Interesse daran, wie denn „Schule“ bei den ausländischen Gästen zuhause abläuft. So durfte ich z.B. am zweiten Besuchstag in einer Lehrerkonferenz am Nachmittag gleich zu Beginn etwas über das Schiller präsentieren.

Selbstverständlich war es auch für die Lernenden an der Schule spannend einen Besucher aus dem Ausland zu haben. Beeindruckt haben mich zudem die Englisch skills gerade der jüngeren Schülerinnen und Schüler, sowie auch die Bereitschaft aller Beteiligten innerhalb und außerhalb des Unterrichts in Gesprächen spielend von Norwegisch auf sehr gutes (!) Englisch zu wechseln, damit ihr Gast auch mitkommt 😉

Es war insgesamt eine beeindruckende Erfahrung.

Professioneller, beruflicher Austausch über Lernen, Unterricht und Schulorganisation, ebenso wie gegenseitiges interkulturelles Lernen und Verstehen als wichtiger Aspekt der Völkerverständigung in Europa.

Der Blick über den eigenen bayerischen Tellerrand ist nicht nur während der Schulzeit oder des Studiums sondern auch noch im Berufsleben äußerst gewinnbringend.

Tusen takk 🇳🇴 (auch an die Koordinatorin Sophie Lilienthal) für diese Erfahrung!

Vielleicht könnten wir ja hierzulande im Bildungsbereich etwas „mehr Norwegen“ wagen?

 

StR Nicolas Zehe

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