Am 1. Oktober 2024 besuchte die Klasse 11c des Schiller-Gymnasiums einen bewegenden Festakt der Stadt Hof zum 35-jährigen Jubiläum der Ankunft der Prager Züge. Diese Züge, die 1989 tausende DDR-Flüchtlinge in die Freiheit brachten, markieren einen entscheidenden Moment in der deutschen Wiedervereinigungsgeschichte. Der Festakt bot den Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit, durch eine Ausstellung, einen Film und ein Zeitzeugengespräch Geschichte auf besondere Weise zu erleben.
Der Tag begann mit einer Ausstellung historischer Presseartikel und Fotografien, die die dramatischen Ereignisse rund um die Ankunft der Züge in Hof dokumentierten. Die Schülerinnen und Schüler konnten sich ein Bild von der Lage der DDR-Flüchtlinge und der Gastfreundschaft der Hofer Bevölkerung machen.
Den Höhepunkt des Tages bildete die Vorführung des Films „Zug in die Freiheit“, der unter der Moderation von Jürgen Stader, einem Zeitzeugen und langjährigen Mitarbeiter der Stadtverwaltung Hof, stattfand. Stader war damals persönlich an der Auszahlung von 91 Millionen Mark Begrüßungsgeld an die Flüchtlinge beteiligt und schilderte seine Eindrücke von den historischen Ereignissen: „Die Hofer sollten viel positiver über ihre Stadt sprechen, denn Hof ist eine Adresse der Freiheit“, sagte er und betonte die wichtige Rolle der Stadt in der Wendezeit.
Im anschließenden Zeitzeugengespräch teilten Hans Weber, ein ehemaliger Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, und Markus Rindt, der als DDR-Flüchtling über Prag nach Westdeutschland gelangt war und heute Intendant der Dresdner Sinfoniker ist, ihre persönlichen Erfahrungen mit den Schülerinnen und Schülern.
Hans Weber berichtete von seiner Arbeit als Hauptansprechpartner für die DDR-Flüchtlinge in der Prager Botschaft. Er erinnerte sich an die Schwierigkeiten des diplomatischen Austauschs mit der DDR: „Die Drähte liefen ständig über Berlin“, sagte er. Weber hob die historische Bedeutung der friedlichen Revolution hervor und lobte den Mut der DDR-Bürger: „Die Menschen in der DDR haben durch ihren friedlichen Widerstand die Mauer zu Fall gebracht.“
Eine besonders ungewöhnliche Anekdote teilte Weber über ein Würfelspiel, das er 1992 entwickelte, um die Situation der Geflüchteten in der Prager Botschaft nachzuempfinden. Dieses Spiel schickte er Erich Honecker ins Gefängnis, begleitet von einem ironischen Ratschlag: „Ich habe Honecker das Spiel geschickt und ihm geraten, es einmal durchzuspielen.“ Diese Aktion sorgte damals für großes mediales Aufsehen, und die „Bild“-Zeitung berichtete tagelang darüber. Diese Episode verdeutlicht, wie Weber die Qualitäten eines Diplomaten alter Schule verkörperte.
Markus Rindt teilte seine ganz persönliche Fluchtgeschichte, die die Schülerinnen und Schüler besonders bewegte. Rindt und seine damalige Freundin hatten nur wenige Menschen in ihre Fluchtpläne eingeweiht, denn die Stasi hatte seine Freundin bereits ins Visier genommen. „Ihr wurde gesagt, dass sie nur Musik studieren dürfe, wenn sie mit der Stasi kooperiere“, erzählte Rindt. Diese Ungerechtigkeit war für ihn nicht zu ertragen, da er selbst Musik studierte und unter den politischen Bedingungen der DDR litt. „Ich habe mich in der DDR immer eingesperrt gefühlt und von der Freiheit geträumt“, sagte er und berichtete, dass er sich bereits als Kind waghalsige Fluchtversuche ausgemalt habe. Seine Eltern hätten immer Angst gehabt, dass er in der Schule zu viel davon erzähle.
Besonders eindrücklich war Rindts Schilderung des Abschieds von seinem Vater. Dieser war aus gesundheitlichen Gründen kaum in der Lage zu sprechen, und die Verabschiedung nach der Fahrt tief in die Tschechoslowakei war für Rindt einer der intensivsten Momente seiner Flucht. „Das war einer der eindringlichsten Augenblicke“, sagte er bewegt. Sein zehnjähriger Bruder, der von den Fluchtplänen wusste, habe den Tag weinend in der Schule verbracht, doch niemand habe erfahren dürfen, warum.
Rindt betonte, dass er seine Entscheidung, alles hinter sich zu lassen – seine Wohnung, sein Auto und sein altes Leben – niemals bereut habe. „Es ging mir nicht wirtschaftlich schlecht, aber politisch“, erklärte er. Diese Flucht habe ihm im Leben enorm weitergeholfen und ihn auch in seinem späteren Beruf als Intendant geprägt: „Der Mut, den ich bei meiner Flucht gezeigt habe, hilft mir heute noch, wenn ich wichtige Entscheidungen treffen muss.“
Zum Abschluss der Veranstaltung richteten die Zeitzeugen wichtige Botschaften an die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer. Markus Rindt forderte sie auf, Mauern abzubauen, anstatt neue zu errichten, und äußerte seine Besorgnis über die Pushbacks im Mittelmeer. Hans Weber stellte die Bedeutung des friedlichen Widerstands in den Vordergrund und rief dazu auf, für Demokratie und Freiheit einzustehen. Jürgen Stader appellierte an die Jugendlichen, den Geist der Demokratie in ihren Alltag zu tragen: „Die Hofer müssen wieder mehr über Demokratie sprechen.“
Die Schülerinnen und Schüler der 11c stellten viele Fragen an die Zeitzeugen und gingen mit wertvollen Eindrücken nach Hause. Diese außergewöhnliche Veranstaltung zeigte ihnen, dass Geschichte nicht nur etwas ist, das man in Büchern liest, sondern dass sie durch lebendige Erzählungen und persönliche Erlebnisse greifbar wird. Die Begegnung mit den Zeitzeugen und deren bewegende Schilderungen von Mut, Flucht und Freiheit hinterließen bleibenden Eindruck und verdeutlichten, wie wichtig es ist, sich immer wieder neu für die Demokratie einzusetzen.
Unser herzlicher Dank gilt Herrn Stader, Herrn Weber und Herrn Rindt für die Einladung zu dieser besonderen Veranstaltung und ihre offenen und bewegenden Berichte.
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